Seiten

Montag, 28. Oktober 2013

Templerun in Hampi

Als pünktlich um 6:15 in aller Herrgottsfrühe in Gokana erst zehn von sechzehn Leuten am Treffpunkt waren, schien irgendetwas im Busch zu sein. Und genau das war der Fall. Sechs Leute waren noch friedlich am schlafen, weil aus ominösen Gründen die Wecker nicht funktioniert haben, oder die Ohrstöpsel zu fest saßen, oder die anderen nicht fest genug gegen die Türen gehämmert haben. Wie auch immer, der Bus fuhr um 6:45 am Busbahnhof, 15 Minuten Fußmarsch, und die Rucksäcke waren selbstverständlich noch nicht gepackt. Extrem genervt hat Herr Anton dann auf uns, ähm ich meine auf die verspäteten Nachzügler, gewartet und tatsächlich haben wir den Bus noch gerade so erwischt. Was kaum jemand von uns ahnte: uns standen mit nüchternem Magen elf Stunden Busfahrt bevor.

Randnotiz und Definitionen:
Busfahren in Deutschland [bʊs ˈfa:rən ɪn dɔytʃlant] - Gemütlich auf einem eigenen Sitz hocken und etwas Musik hören während man auf der Autobahn bei 130 km/h schläft...
Busfahren in Indien  [bʊs ˈfa:rən ɪn ˈɪndiən] - Mit 50 km/h und Zwischenstopp bei jedem Misthaufen über "Straßen" fahren, die verfallenen deutschen Waldwegen ähneln. Dabei von zwanzig Indern nach Herkunft, Namen, Namen der Eltern und Großeltern und Neffen und Nichten und Tanten ausgefragt werden, während im Hupkonzert der anderen Verkehrsteilnehmer auch Ohrstöpsel wenig effektiv sind.. Da ist keine Gelegenheit für ein kleines Nickerchen!

Elf Stunden und zehn verzweifelte Wutanfälle später kamen wir dann, mit Zwischenstopp in Hospet, in Hampi an. Im Gegensatz zu vielen anderen indischen Städten ist Hampi nicht voll mit Bussen, Rickshaws, Autos und Motorrädern. Das Hampi, das man heute kennt, ähnelt mehr einem archäologischen Großraum, in dem eine kleine Siedlung von 2000 Einwohnern angelegt worden ist, was seinen ganz eigenen Reiz hat. Am ersten Abend waren wir alle sehr gerädert und lediglich noch zusammen in einem tibetanischen Rooftop-Restaurant essen.
Am nächsten Tag war dann Kulturprogramm angesagt, denn unseren Tourguide Mrs. Ehmer hatten wir immer dabei. Hampi war vom 13. bis 16. Jhd. die Hauptstadt des Königreiches Vijayanagar, das als ursprüngliches Tierreich stets heftig von verschiedensten Herrschern umkämpft war. Der allseits spürbare Drang zur Machtrepräsentation ist auch hier unübersehbar. Wir haben drei von vier großen Tempelanlagen besichtigt, von denen eine sogar teilweise unterirdisch gebaut wurde.
Die Landschaft des ehemaligen Großreiches, das einst fast ganz Südindien beherrschte,  ist wirklich wunderschön, weshalb die indische Regierung beschlossen hat, dieses Kulturerbe nach den Richtlinien der UNESCO gänzlich von modernen, störenden Gebäuden zu "bereinigen" und das 26 Quadratkilometer große Gelände zu einem historischen Park umzugestalten, den man als Tagestourist besuchen kann.
Dies führt jedoch dazu, dass die besagten 2000 Einwohner ihr Zuhause verlieren werden und an einem anderen Ort weiterleben müssen, was man auch am Handelswillen der Händler deutlich gemerkt hat, der teilweise einem deutschen Summersale gleichte.
An einem so touristischen Ort ist die Gefahr von Überfällen, Diebstählen und Kriminalität generell enorm hoch, der wir letztlich auch zum Opfer fielen. Wenn auch keine Menschen uns beklaut haben, wurden wir von hungrigen Affen überfallen, die, ohne Opfer zu scheuen, unsere Bananen klauten, was jedoch mehr lustig als schlimm war, zumal unser gesamter Mülleimer mitsamt Bananen- und Ananasresten auch mit Elan und von Hunger angetrieben geplündert wurde. Dreiste Viecher!
Vor einer Sehenswürdigkeit haben wir dann lustigerweise alte Bekannte getroffen - drei Französinnen, die in Kumily im selben Hotel wie wir untergekommen sind. Dass sie uns in Kumily furchtbar damit genervt haben, dass sie nachts um 0 Uhr vor unserem Zimmer in französischem Brüllton telefonieren mussten, war schon wieder vergessen und sie machten netterweise ein paar Gruppenfotos von uns, auf denen Herr Anton aka. Sri Hermann auch mal zu sehen ist... Welch ein Wunder!
Zusammenfassend ist in Hampi an sich gesehen nicht wirklich viel passiert. Wir hatten relativ entspannte Tage, 25°C kalten Regen und viel Kulturprogramm.
Jedoch ereignete sich eine Aktion, die als Beispiel für die täglichen Dilemmata Indiens dienlich ist.
Auf der Straße vor unserem Hotel hat Anne einen 100Rs-Schein gefunden. (entspricht 1,30 Euro für uns, aber einem Tageslohn für einen Inder -> kein kleiner Betrag!) Sie hat ihn aufgehoben und wollte in der Gruppe fragen, ob ihn jemand verloren habe. Jedoch stand prompt ein indisches Kind, das Postkarten und Schmuck verkauft, vor ihr und behauptete felsenfest, es habe den Schein gerade im Moment verloren.

Die Frage: Was tun? Dem Kind den Schein geben, mit dem Hintergedanken, dass es ihn an den Vater oder einen Großhändler abgeben muss? Den Schein behalten? Warum? Warum nicht? Gerne könnt ihr und können Sie die Kommentarfunktion unter dem Beitrag für Meinungen dazu benutzen!

Nach zwei ganzen Tagen Hampi machten wir uns dann um 19 Uhr abends auf den Weg zum Bahnhof in Hospet (ca. 12km), um mit dem Nachtzug zehn Stunden nach Bengalore, dann vier Stunden mit dem Bus nach Kollegal und schliesslich wieder zwei Stunden mit dem Bus nach Cowdalli, dem zentralen Dreh- und Angelpunkt unserer Reise, zu fahren. Doch dazu gibt es sicherlich in Kürze mehr zu lesen!

An dieser Stelle möchten wir noch kurz eine weitere kleine Beobachtung in den Cyberraum werfen:
Bus und Bahn sind stets gut besucht und komplett gefüllt. Wir sind so gut wie immer die einzigen Nichtinder und wirklich immer die einzigen mit Gepäck. Nun fahren die Busse und Züge jedoch nicht eine halbe Stunde ins nächste Dorf sondern vier, sechs, acht, zehn Stunden durch halb Südindien. Wir haben feste Ziele, reisen mit unserem Gepäck und bleiben einen Tag oder zwei damit in der Zielstadt. Aber die Inder fahren stundenlang durch die Gegend, ohne auch nur eine kleine Tasche dabeizuhaben.
Die Frage: Wohin fahren die Inder?
Unsere Antwort? Wir haben keinen blassen Schimmer!

In diesem Sinne,
ganz ganz liebe Grüße in unserer letzten Woche hier.
An alle Lehrer und Schüler: Einen guten Schulstart (auch wenn es jetzt schon etwas spät ist) und viel Spaß!
Bis bald,
Eure Indienreisegruppe

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen